Der Röstgrad. Viel verwendet. Oft missverstanden.
Was ist denn überhaupt der "Röstgrad"?
Wir haben uns lange gegen die Verwendung einer Röst-Skala gesträubt. Zu unklar war für uns dieser Begriff. Kurz: wir mögen ihn nicht.
Was der Röstgrad ist, warum wir mittlerweile dennoch eine Röstgrad-Angabe bei unseren Kaffees machen und - vor allem - warum das für dich als Kaffeetrinker wichtig ist: darüber sprechen wir jetzt.
WESHALB WIR DEN BEGRIFF RÖSTGRAD BISHER VERMIEDEN HABEN
Eine kurze Google Suche verdeutlicht: was unter Röstgrad verstanden wird, ist in etwas wie die Suche nach der Quelle von Kopfschmerzen. Der Orthopäde beschuldigt den Nacken, der Zahnarzt behauptet, dass du nachts mit den Zähnen knirschst und dein Hausarzt sagt du hast Bluthochdruck.
Uns ist durchaus bewusst, dass andere Kaffeeröster zum Thema Röstgrad eine andere Meinung haben können und höchstwahrscheinlich auch werden: zu viel Spielraum für Interpretation des Begriffs "Röstgrad" und wie sich für den Kaffeetrinker diese Röstgrade in der Tasse auswirken. Einigkeit sieht anders aus.
Deshalb haben wir uns bisher mit einer Röst-Skala auf unseren Kaffeepackungen zurückgehalten.
Der Reihe nach:
RÖSTPLAN vs RÖSTPROFIL
Wenn wir ein neues Kaffee-Angebot machen wollen, werden wir von ein paar Überlegungen beeinflusst:
- Welche Regionen sind in unserem Sortiment vertreten? Welche sind unter-repräsentiert?
- Welche Aromaprofile + geschmacklichen Charaktere haben wir bereits abgedeckt? Welche fehlen in unserem Sortiment?
- Wie wurde ein Kaffee aufbereitet? Welche Aufbereitungsmethode fehlt in unserem Sortiment? Welche möchten wir mal ausprobieren?
- Wie ist der Preis vom Rohkaffee? Wie ist die Qualität im Verhältnis zum Preis?
- Wer importiert den Kaffee und wie viel davon ist verfügbar? Handelt es sich um eine einmalige Ernte oder kann dieser Kaffee Jahr für Jahr angeboten werden?
Viele Faktoren. Der wichtigste Faktor - jedenfalls für uns bei carabica - ist allerdings:
Für welche Verwendung soll der Kaffee herhalten? Filter? Espresso? Omni? Mit Milch oder ohne? Für zu Hause oder im Einsatz für mein Catering-Angebot?
Die Entscheidung darüber, wie ein Kaffee geröstet wird, fällt allerdings schon sehr viel früher. Noch vor dem Rohkaffeeeinkauf.
Gerade für mich als Barista ist es wichtig während der Röstung zu wissen, wie ich einen Kaffee später zubereiten werde und welche Aromen sowie wie viel Süße / Säure ich letztlich in der Tasse finden möchte.
Dafür ist das "Röstprofil" da.
Rohkaffee ist anfangs hart, dicht und grün. Der Röstprozess macht die Bohne braun. Das ist natürlich nicht neu und auch nicht sonderlich spannend.
Im Innenleben der Bohne allerdings, erfolgen während des Röstens tausende chemische Reaktionen. Beim Rösten sprechen wir zunächst von "Trocknungsphase", dann von der Maillard Reaktion, dem First Crack und der Entwicklungsphase.
[Eine detaillierte Betrachtung würden Rahmen dieses Artikels sprengen.]
Wichtig zu wissen:
Die sensibelste Phase während der Röstung ist der First Crack und die anschließende Development Phase: jetzt werden die uns bekannten Aromen gebildet. Wie lange und wie heiß die Bohnen geröstet werden, hat Einfluss auf den Geschmack.
Spezialitätenkaffee wird in der Regel weniger heiß und länger geröstet als Industrieröstungen. Im Allgemeinen wird dabei die Chlorogensäure effektiver abgebaut. Die meisten Spezialitätenkaffeeröster rösten ihre Kaffees nach der Röstfarbe beurteilt auch heller als die großen industriellen Röstanlagen.
Gleichzeitig soll im Kaffee die Fruchtsäure meist nicht gänzlich verloren gehen. Ein ausgewogenes Spiel zwischen Süße und Säure ist wünschenswert.
VERWIRRUNG PUR - DIE RÖSTGRAD-VARIATIONEN
Auf (vor allem amerikanischen) Kaffeeverpackungen kann man diverse Bezeichnungen für die Einteilung des Röstgrads lesen: light cinnamon, New England, Full City oder French ... um nur ein paar zu nennen.
Wem soll das helfen?
Eine "Vienesse" Röstung wird durch den Eintritt in den second crack definiert. Die Farbe der Kaffeebohnen ist dann dunkelbraun. Gleichzeitig sagt diese Angabe nichts über das Röstprofil des Rösters aus. Wie lange wurde dieser Kaffee geröstet? Wie viel Energie wurde dem Kaffee nach dem Charge mitgegeben? Wie lange dauerte die Trocknungsphase oder die Maillard Phase?
Geschmacklich würde so ein Kaffee vermutlich relativ bitter schmecken, geprägt von Röstaromen. Wurde solch ein Kaffee aber sehr schnell geröstet, können wir davon ausgehen, dass die Kaffeebohnen innen weniger stark geröstet wurde und lediglich die Außenseite der Kaffeebohnen dunkelbraun (und vermutlich teilweise verbrannt) sind. Der Kaffee könnte also im schlimmsten Fall außen dunkelbraun und innen noch teilweise fast roh sein.
Ein dunkler, aber schnell gerösteter Kaffee verliert so auch bei hoher Endtemperatur weniger Feuchtigkeit und beinhaltet mehr Säure als ein länger, aber heller gerösteter Kaffee.
Die pauschale Einstufung anhand gängiger Skalen wird dir kaum helfen, den passenden Kaffee für dich zu finden: Ein Kaffee, der deinen persönlichen Vorlieben entspricht, zu deiner Zubereitungsmethode passt und gleichzeitig bekömmlich ist.
WARUM WIR NUN DENNOCH DEN RÖSTGRAD VERWENDEN
Die Praxis sieht nun mal oft anders aus: viele unserer Kunden orientieren sich beim Kauf ihrer täglichen Kaffeedosis dennoch am Röstgrad. Wir finden das nicht grundsätzlich falsch. Der Röstgrad kann bei der Kaufentscheidung helfen und dient als erste Einschätzung dafür, welcher Kaffee zu dir passt.
Helle Röstungen
Wir verwenden helle Röstungen (unsere Röstgrade 1 oder 2 von 5 Punkten) für die Zubereitung von Filterkaffees. Dazu zählen für uns alle Zubereitungsmethoden bei denen der Kaffee ohne Druck gefiltert wird. Die Aeropress bildet hier eine Ausnahme.
Helle Röstungen werden meist durch mehr Fruchtsäure definiert. Die Säure ist lebhaft und spritzig. Das Aromaprofil ist Reichhaltig und bietet viele unterschiedliche Nuancen.
Mittlere Röstungen
Wir bezeichnen unsere "mittleren" Röstungen gern als Omin Roasts. Meist sind dies Kaffees mit einem Röstgrad von 3 oder 4 von 5 Punkten. Wir finden hier Kaffees, die wir ungern ein eine Schublade stecken wollen. Sie sind oft vielseitig und haben unserer Meinung nach ein optimales Profil und volle Körper. Ein gutes Beispiel ist unser Bugisu aus Uganda.
Als Filterkaffee ist der Bugisu kräftig und körperreich. In der Tasse finden wir ein ausgewogenes Spiel aus Süße und Säure. Wir genießen Bugisu aber auch als wenig aufdringlichen Espresso. Mit Milch bildet dieser Kaffee neue Nuancen von Kakao und kann sich durchaus auch in Milch behaupten.
Unsere Omni Roasts sind oft (nicht immer) Single Origin Kaffees.
Dunkle Röstungen
Unsere dunklen Röstungen sind unsere Klassiker für die Espresso Zubereitung. Wir geben hier einen Röstgrad von 4 oder 5 von 5 Punkten an. Diese Röstungen kommen beim Kunden zu Hause in die Siebträgermaschine, den Kaffeevollautomaten oder in die Herkanne / Bialetti.
Bei dunkleren Röstungen sind "röstige" Aromen durchaus gewollt. Natürlich sollten diese nicht überhand nehmen. Bitterkeit sollte nicht durch verbrannten Kaffee, sondern durch Aromen wie Zartbitterschokolade oder Karamell kommen.
Espresso Special
Der Espresso ist eine Emulsion, konzentrierter Genuss, eine Massen-Tassen-Haltung für Aromen. Der Espresso ist auch Opfer von Foodporn und er bekommt deshalb ein paar extra Zeilen: Was wollen wir bei Espressoröstungen erreichen?
Die meisten Espressotrinker, die wir kennen, lieben dunklere Kaffeesorten für ihren Espresso. Sie haben Angst vor Säure und wollen eine dicke Crema. Beim Rösten bedeutet das für uns: viele Aromen aus dem Bereich Sugar Browning, Schokolade, geröstete Nüsse und vielleicht Nougat, Vanille, Steinobst.
Auch die Aufbereitung ist wichtig: wie viel natürliche Süße bringt ein Kaffee als Rohware mit und kann diese Süße vom Barista gekonnt betont werden?
Eine intensivere Röstung muss nicht zwangsläufig dunkler sein. Letztlich können wir an der Röstmaschine mit diversen Variablen spielen. Dazu gehören die Charge Temperatur (Anfangstemperatur), die Röstdauer, die Abluft und Endtemperatur. Ein körperreicher Kaffee für den Vollautomaten beispielsweise kann länger geröstet werden und dennoch nicht dunkel aussehen.
Die rein optische Beurteilung ist daher während der Röstung zumeist nicht genau genug, daher kommt eine Kombination aus Bohnentemperatur, Geruch, Farbe und Geräusch zur Kontrolle des Röstprozesses zum Einsatz.
FAZIT
Wir versuchen ein breit gefächertes Portfolio abzudecken und dabei die individuellen Eigenschaften des Kaffees zu betonen. Schon vor dem Rohkaffee-Einkauf legen wir fest, was für ein Getränk am Ende dabei rauskommen soll. Dieses Zielsetzung beeinflusst jeden einzelnen Schritt wie z.B. die Eingrenzung des Anbaulands, die Fokussierung auf eine Bestimmte Aufbereitung und natürlich die Röstung
Während unserer Beratung vor Ort fragen wir: welches Getränk möchte der Heimbarista mit dem Kaffee zubereiten? Hier gibt es viel Diskussion: ein Espresso muss durch die Milch durchschlagen beim Cappuccino. Kann also dunkler und bitterer sein.
Beim Latte Macchiato soll der Kaffee mild schmecken. Hier eignet sich ein medium roast mehr. Helle Röstungen sind häufig Filterkaffees, aber Fruchtigkeit kann in Kombination mit Milch äußerst interessant schmecken.
Hier entscheiden die persönlichen Vorlieben.
Eigentlich, wie immer.
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