Hin und wieder haben wir sie alle: Erleuchtungen. So geschehen auch heute Abend wieder, als ich Tim Mälzer's Lebensmittel-Check in der ARD angesehen habe und auch der darauffolgenden Debatte bei hartaberfair lauschen durfte. Es geht um Wertschätzung.
Fangen wir doch gleich mal damit an: was ist eigentlich "Wertschätzung"? Es ist eines dieser schwierigen Konzepte, dem jeder irgendwie eine andere persönliche Färbung zu geben scheint. Genauer betrachtet scheint sich in diesem Wort auch zu verstecken "wie schätzt du den Wert" von XYZ?
Was wir aber mit einem hohen Wert beschätzen und was gering schätzen, hängt von vielen Faktoren ab, u.a. was wir über die Thematik überhaupt wissen oder was unsere Vorlieben sind. Und genau da liegt meiner Meinung nach das Problem - bei Tim's Fleisch wie auch bei Spezialitätenkaffee, oder Kaffee überhaupt!
VIEL ARBEIT, WENIG WERT
Irgendwie scheinen nach wie vor die Mehrheit der Menschen Kaffee als lebloses, das Regal verzierende Produkt zu sehen. Braunes Pulver oder evtl. einfach Etwas, das man in den Vollautomaten kippt, um notwendigerweise wach zu werden. Dabei ist Kaffee so viel mehr. Selbst wenn die gerösteten Bohnen bereits unsere Küche zieren, verändern sie sich: die Aromareife ändert sich, manche werden ranzig, andere einfach nur alt. Aber machen wir einen Schritt zurück.
Bevor der Kaffee in unserer Tasse dampft, sind viele Schritte notwendig. Man sagt, dass eine Kaffeebohne von ca. neun paar Händen verarbeitet wurde, bis sie verkauft oder verwendet werden kann. Das ist in unseren Augen noch konservativ. Die Bereitstellung von Kaffee ist extrem arbeits- und zeitintensiv.
Ein Kaffeestrauch braucht mehrere Jahre, um Früchte tragen zu können. Die Kaffeekirsche reift innerhalb von ca. 9-10 Monaten. Umso langsamer, desto besser der Kaffee. Die Aufbereitung inklusive "depulping", Fermentierung, Sortierung und Trockung kann mehrere Wochen dauern. Selbst bei der Röstung nehmen wir uns 5-mal so viel Zeit wie Industrieröster. Priviligierte Anbauorte, sorgfältige Aufbereitung, schonende Röstung und gekonnte Zubereitung entscheiden bei Kaffee über herausragende Qualität und Banalität.
Was die Massentierhaltung (wie ich sie definiere) versucht, ist in meinen Augen Quälerei für Tiere und am Ende schlecht für uns Menschen. Ob bei intensiv-konventionellem Fleisch auch so enorme Qualitätsunterschiede feststellbar sind sollten andere beurteilen. Fakt ist: beim Kaffee ist der Fokus auf Effizienz schlecht für die Qualität und schlecht für den Genuss.
Diskussion - Verantwortung - Konsum
Vorweg muss ich aber betonen: ich selbst ernähre mich vegan und möchte keinen unfairen Vergleich zwischen Kaffee und Fleisch ziehen. Fleisch ist immer mit dem Tod eines Tieres verbunden. Fleischproduktion ist niemals fair oder freiwillig.
In der Diskussion rund um Fleischproduktion, artgerechte Tierhaltung und die Verantwortung der Konsumenten von hartaberfair, können wir trotz allem viele Parallelen zum Anbau, der Verarbeitung und dem Konsumverhalten beim Spezialitätenkaffee ziehen.
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Weniger Konsum, dafür höhere Qualität: wie beim Fleisch, so auch beim Kaffee. Ich liebe Spezialiätenkaffee! Doch trinke ich deswegen mehr als früher? Nein. Mein Konsumverhalten hat sich verändert: weg vom alltags-Wachmacher, hin zu bewusstem Genuss. Bevor ich begann vegan zu essen, machte ich das gleiche mit Fleisch.
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Transparenz zählt: der mündige Bürger ist aufgeklärt, schlau und lässt sich nicht mit einfachen Antworten abspeisen. Beim Fleisch genauso wie beim Kaffee. Warum ist dieser Kaffee "besser" als ein anderer? Was bedeutet Hochlandkaffee und warum ist dies gut für die Qualität? Woher kommt der Kaffee eigentlich? Wie nachhaltig wurde der Kaffee angebaut? Wer heute glaubt, den Kunden etwas vormachen zu können, der hat sich geirrt. Obwohl, beim Fleisch klappt das ja scheinbar, oder?
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Wissen und machen: ich gehe davon aus, dass fast 100% der Deutschen das Fair Trade Label kennen. Meiner persönlichen Schätzung nach finden 80% der Bundesbürger fairen Handel gut und unterstützenswert. Lediglich 3% kaufen Fair Trade Produkte. Wie? Beim Fleisch ist das nicht anders, wie wir in Tim Mälzer's Lebensmittel-Check gesehen haben. Wissen bedeutet nicht auch nach der eigenen Überzeugung handeln. Sonst bringt das Wissen nichts.
WOMIT WIR WIEDER BEIM THEMA WERTSCHÄTZUNG WÄREN.
Wenn unser Wissen über die Art der Produktion unser Konsumverhalten nicht beeinflusst, was dann? Müssen wir erst krank werden, so wie ich es schmerzhaft erleben musste? Müssen wir erst Millionäre sein? Müssen wir erst selbst die Kuh schlachten?
Konsequent auf Bio-Produkte, artgerechte Tierhaltung oder faire Arbeitsbedingungen zu achten ist das Eine. Viel schwieriger ist es zu wissen, ob die Marketing-optimierten Aussagen tatsächlich wahrheitsgemäß sind.
Regularien - auch beim Kaffee - lassen teilweise viel Spielraum, so dass z.B. laut Gesetzgeber bis zu 5% Wasser im Kaffee sein darf. Eine Regel, die sich Industrieröster zunutze machen, um weniger Gewichtsverlust beim Rösten in Kauf nehmen zu müssen. Dabei war dir gar nicht klar, dass du gerade 50g Wasser mit deinem Kilo Kaffee gekauft hast.
Diese "Schlüpflöcher" sind für den allgemeinen Konsumenten nicht mehr zu erfassen. Das macht wütend und hilflos zugleich. Was kann man überhaupt noch essen? Bevor du verzweifelst, möchte ich dir zumindest ein paar Tipps anbieten mit denen ich persönlich ganz gut fahre:
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Hat ein Lebensmittel mehr als 5 Zutaten, kaufe es nicht.
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Hat ein Lebensmittel Zutaten, die du nicht aussprechen kannst, kaufe es nicht.
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Mache deine Hausaufgaben: gibt es lokale Bezugsquellen? Wie arbeitet dein Metzger? Woher kommt der Kaffee? Was bedeutet eigentlich fair oder fair gehandelt?
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Kaufe bei Händlern, denen du vertraust und mache dir weiter keine Gedanken. Sonst wirst du verrückt.
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Gewisse Gänge lasse ich im Supermarkt schon seit Jahren einfach aus; das macht das Einkaufen einfacher und schneller. Ich rate dir dasselbe zu tun.
Bevor ich mich mit dem Thema Kaffee auseinandergesetzt habe, wusste ich nicht mal, dass es Arabica und Robusta gibt. Bei mir hat ein Zuwachs an Wissen das Konsumverhalten geändert. Darüber hinaus war es der bessere Geschmack des Kaffees und das Verlangen nach bewussterem Genuss, einer Bewegung zum Natürlichen und dem Wunsch nach Entschleunigung, was meine Wertschätzung für Kaffee hat steigen lassen.
Kaffee ist für mich Natur, Kunst und eine wahre Freude.
Heute trinke ich Kaffee meist schwarz, ohne Milch und Zucker. Möglich war dies aber nur, weil ich Kaffee nicht mehr als Wachmacher begriffen haben, sondern als puren Genuss - sowohl während der Zubereitung als auch in der Tasse. Nicht mehr, sondern besser.
Fleisch esse ich jetzt seit Jahren nicht mehr. Die Umstellung war einfach als gedacht. Es bedarf letztlich einer konsequenten Entscheidung. Die Basis für die Entscheidung ist sehr individuell und persönlich.
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Geschrieben völlig spontan, mitten in der Nacht. Wenn du magst, diskutiere mit oder hinterlasse mir eine Nachricht: wie stehst du zum Thema?
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